Eine Geschichte nicht nur für Webdesigner
Neulich, beim Zigaretten holen
Auf dem Weg zum nächstbesten Kippen-Automaten kam ich an einer großen Plakatwand vorbei, auf der folgendes geschrieben stand:
„Hugo Kunz: Hallo! Ich habe jetzt eine Wohnung! Besucht mich doch mal!“ Und darunter stand noch: „Kostenloses gibt`s bei Hugo!“
Da macht einer Werbung dafür, daß ihn jemand in seiner Wohnung besucht? Und es gibt was Kostenloses? Das hörte sich doch ziemlich blöd an! Und so war mein Interesse geweckt.
Es ist eigentlich nicht meine Art, einfach unangemeldet jemanden zu besuchen, aber wenn er dafür sogar Werbung macht! Die Wohnung lag ganz in der Nähe.
Hugo öffnete die Tür und bat mich herein. Noch bevor ich auch nur einen einzigen Schritt in die Wohnung gemacht hatte, schüttete Hugo eine große Tüte Kekse über meinem Kopf aus. Und dann noch weitere 20 Tüten. Ich hatte es mit einem Bekloppten zu tun, das wußte ich sofort!
Unterlegt mit nervtötender, lauter Musik aus seiner Stereo-Anlage teilte mir Hugo sodann mit: „Hallo, Du bist der 4236-ste Besucher meiner Wohnung seit dem 27. November 1996!“
Sehr verwirrend. Da setzte Hugo noch eins drauf: „Diese Wohnung ist optimiert für Menschen mit Schuhgröße 50. Schuhgröße 50 – jetzt!“ Ich hatte nur Schuhgröße 43, blieb aber trotzdem. Es sollte doch etwas Kostenloses bei Hugo geben!
Was waren denn das für bunte Schilder an den Wänden?
Ich bewunderte die vielen Werbe-Schilder, die im Flur hingen, als mir Hugo plötzlich ein (ganz sicher geklautes) Baustellen-Schild vor die Nase hielt:
„Diese Wohnung wird gerade renoviert!“ Das konnte man allerdings sofort erkennen.
Ich betrat das Wohnzimmer, das ebenfalls mit Werbe-Schildern zugehängt war, während mir Hugo in aller Ruhe erzählte, wie er heißt (das wußte ich schon), warum er eigentlich diese Wohnung hätte (das wollte ich gar nicht wissen), was er gerne machen würde (furchtbar!), und wen er so alles kennen würde (nur Menschen mit Verbrecher-Namen).
Das dauerte eine ganze Weile und endete dann mit der Aufforderung: „Trag Dich in mein Gästebuch ein!“
Uff! Ich ignorierte das ganz frech und wurde auf einen ganzen Stapel von Zeitschriften aufmerksam. Diese Zeitschriften sahen sehr informativ aus.
Ich fand:
Magazine und Zeitungsauschnitte über „Star Trek“, „Akte X“ und „Babylon 5“. Bücher über Kochrezepte, Autos und Mountain-Bikes.
Weiterhin ein Foto-Album mit unzähligen Baby-Fotos, und besonders erwähnen möchte ich an dieser Stelle die vielen Hefte mit den Blondinen-Witzen.
Nackt-Heftchen gab es bei Hugo leider nicht. Sein Kommentar dazu: „Da mußt Du eine andere Wohnung besuchen!“
Eine entsprechende Wohnungs-Adresse konnte er mir allerdings nicht nennen.
Als ich ein Heft, auf dem das Wort „Java“ stand, in die Hand nehmen wollte, blendete Hugo mich geschickt mit einer großen Taschenlampe. Dabei tanzte er wild um mich herum. Ich wartete geduldig, bis er sich abreagiert hatte.
Dann wurde es interessanter: Auf einem großen Tisch entdeckte ich viele Pokale und Preise.
Da wurde Hugo ganz stolz! Alle diese Pokale (er nannte sie „Ewalds“) hätte er schon für seine Wohnung bekommen! Pokale für eine Wohnung? Auweia! Diskret schob Hugo einen Mülleimer, in dem auch einige Pokale waren, beiseite. Dann durfte ich mir mal die Inschriften der Pokale auf dem Tisch ansehen:
Wir haben uns Deine Wohnung angesehen. Sie ist sehr sauber. Wir geben Dir dafür den Saubermann-Award in Gold!
Ich gebe Dir den Living-Room-Award in Bronze. Deine Tapeten sind schön. Besuche bitte auch meine Wohnung.
Die Deckenbeleuchtung Deiner Wohnung hat mich überzeugt. Dafür gebe ich Dir den Apartment-Award 1997 in Gold!
Wir finden Deine Wohnung zum Heulen gut, dafür bekommst Du von uns den Heul-Award!
Hugo erzählte mir, daß er nun auch einen eigenen „Tschät-Ruum“ in seiner Wohnung hätte. Er hätte nämlich festgestellt, daß die Wände seiner Wohnung ziemlich dünn seien, und zuerst hätte er sich darüber geärgert. Dann hätte er aber das Beste daraus gemacht. Er hätte jetzt einen „Klo-Tschät“ mit seinem Nachbarn.
Zuerst fand ich es dämlich, durch die Wand mit dem Nachbarn zu reden, aber dann packte auch mich im „Klo-Tschät“ das Fieber. Der Nachbar hatte gerade eine längere Sitzung, und wir redeten stundenlang nur Scheiße.
Am Ende rief der Nachbar ein „LOL“ durch die Wand, und Hugo erklärte mir schnell, daß das unter Tschättern ein Geheimcode sei, der soviel wie „Labern oder Lügen“ bedeute. Ich fühlte mich ertappt und beendete schnell das Gespräch.
Hugo nervte mich wieder mit: „Trag Dich in mein Gästebuch ein!“ Und so sah ich mir das Ding dann halt mal an.
Im Gästebuch standen schon ziemlich viele Eintragungen, die allerdings selten aus mehr als einem einzigen Satz bestanden.
Bernd:
Ich finde Deine Wohnung toll! Besuch doch mal meine Wohnung!
Andy:
Weil Du Dich in mein Gästebuch eingetragen hast, schreibe ich jetzt auch was in Dein Gästebuch.
Michael:
Ich habe mir Deine Wohnung angesehen. Geil! Weiter so!
Thomas:
Du hast eine echt coole Stereo-Anlage! Suuuuuuper!
Tanja:
Am besten hat mir Deine Küche gefallen. Der Kühlschrank ist eine gute Idee!
Das war alles sehr interessant, aber auch anstrengend. Ich war viele Stunden lang geblieben. Der Grund meines Besuches fiel mir nicht mehr ein, und so verabschiedete ich mich schließlich.
Hugo drückte mir noch eine Liste mit circa 1000 Adressen von anderen Wohnungen in die Hand: „Die kannst Du auch alle mal besuchen.“
Dann weinte er plötzlich: „Du hast Dich noch nicht in mein Gästebuch eingetragen!“ Also, tat ich das noch schnell:
Hallo, Hugo. Ich habe mir Deine Wohnung gründlich angesehen. Am besten hat mir das gefallen, was Du in Deinem Mülleimer versteckt hältst.
Hugo war sauer. Er gab mir dann aber trotzdem noch etwas Kostenloses. Ach ja! Ich bekam von ihm:
Ein Stück Rauhfaser-Tapete für meine Wohnung!