Wie Hund und Katze Feinde wurden


Es waren einmal ein armer alter Bauer und seine blinde Frau, die wohnten in einem abgelegenen Dorf. Sie hatten nie Kinder gehabt und hielten nur einen Hund und eine Katze zur Gesellschaft. Der Hund und die Katze hingen sehr aneinander und hielten unzertrennlich zusammen. Sie waren den beiden Alten sehr treu, und wenn der Bauer wegging, halfen sie der blinden alten Frau das Haus hüten und ließen keinen Fremden herein. Auch die beiden Alten hatten die Tiere sehr gern, schimpften nie mit ihnen und hatten ihnen noch nie einen Klaps gegeben. Obwohl sie alt und einsam waren, war ihr Leben doch nicht langweilig.

Eines Tages war der Alte in den Bergen, um Gras zu schneiden, und fand auf dem Heimweg eine kleine grüne Schlange, die im Gras lag und sich vor Hunger nicht mehr rühren konnte. Aus Mitleid steckte er sie in seinen Jackenausschnitt und nahm sie mit nach Hause. Nach einer Weile konnte er sie aus Armut nicht länger füttern und sagte deshalb zu ihr: „Kleine Schlange, bis heute habe ich dich gefüttert, aber jetzt ist kein Hälmchen und kein Körnchen mehr im Hause. Ich kann dich nicht mehr füttern, darum geh!“

Die Schlange nickte mit dem Kopf und sagte: „Gütiger Alter, ohne dich hätte ich den heutigen Tag nicht erlebt. Ich habe sonst nichts, was ich dir zum Dank geben könnte, darum gebe ich dir meinen Schwanz. Du musst ihn in ein Holzkästchen tun und verstecken, damit ihn kein Fremder sieht. Wenn du kein Geld mehr hast, brauchst du nur den Schwanz hervorzuholen und ihn ein paar mal zu schütteln, dann fällt Geld herab.“ Die Schlange hatte noch nicht ausgesprochen, da streckte sie dem Alten ihren Schwanz entgegen. Kaum hatte der Alte ihn abgeschnitten, war die Schlange verschwunden.

Der Alte legte den Schwanz in ein Holzkästchen und vergrub es hinter der Küche, wo es ganz ruhig war und wo er nicht so leicht von jemandem beobachtet werden konnte. Wenn jetzt die beiden Alten kein Geld mehr hatten, holten sie das Kästchen hervor, nahmen den Schlangenschwanz heraus und schüttelten ihn, dann fielen klimpernd Bronzemünzen herab. Von dem Geld kaufte der Alte auf dem Markt Öl, Salz, Reis und Feuerholz, dann machte er Essen und teilte es in vier Teile: einen für seine Alte, einen für den Hund, einen für die Katze und einen ließ er für sich selbst. So lebten sie noch glücklicher als zuvor.

Eines Abends kam ein wandernder Händler zu ihnen, der Angst hatte, im Dunkeln weiterzugehen, und bei den Alten übernachten wollte. Der Alte behielt ihn zur Nacht im Haus. Am nächsten Morgen ging der Alte, ehe es hell wurde, hinter die Küche, holte den Schlangenschwanz hervor und schüttelte ihn, dass die Bronzemünzen klimpernd herabfielen. Der Händler hatte in der Küche geschlafen und konnte durchs Fenster alles mit ansehen. Kaum war der Alte fortgegangen, lief der Händler rasch hinaus, nahm das Kästchen, versteckte es in seiner Traglast und trug es weg.

Als der Alte zurückkam, fand er seine blinde Frau tränenüberströmt, und als er fragte, warum sie weinte, sagte sie: „Dieser Händler hat unser Kästchen gestohlen!“ „Das glaube ich nicht“, erwiderte der Alte. „Wir haben es so gut versteckt. Wie hätte er davon wissen können? Sicher hast du nicht richtig danach getastet.“ Damit ging der Alte hinaus und griff nach dem Kästchen. Als er eine Weile erfolglos danach getastet hatte, wurde auch er aufgeregt. Die beiden Alten saßen einander gegenüber und trauerten. Der Alte seufzte, und die blinde Alte weinte sehr. Da kamen der Hund und die Katze herein und wollten etwas zu fressen haben. Als sie sahen, wie traurig die beiden waren, strichen sie um sie herum und waren mit ihnen traurig. Der Alte schaute den Hund und die Katze an und seufzte. Dann sagte er zu ihnen: „Der Händler hat unseren Schatz gestohlen. Geht schnell und sucht ihn!“ Da sagte der Hund zur Katze: „Gehen wir! Vielleicht können wir ihn finden. Sieh nur, wie aufgeregt die beiden sind!“

Der Hund machte sich mit der Katze auf den Weg. Überall suchten sie nach dem Kästchen. Immer wieder erkundigten sie sich, und schließlich wussten sie Bescheid, aber um zu dem Haus des Händlers zu gelangen, würden sie einen großen Fluss überqueren müssen. Eines Tages kamen sie an den Fluss und sahen, dass das Wasser heftig brausend dahin schoss. Als die Katze die reißende Strömung sah, duckte sie sich ängstlich zusammen. Aber der Hund machte ihr Mut. „Hab keine Angst“, sagte er. „Ich kann schwimmen und trage dich hinüber. Wir müssen unbedingt den Schatz finden, sonst können wir den beiden Alten nicht mehr unter die Augen treten.“ Als die Katze sah, wie entschlossen der Hund war, fasste sie auch Mut. Sie nahm sich zusammen und sprang dem Hund auf den Rücken. Der Hund trug die Katze über den Fluss, und sie kamen in ein kleines Dorf. Dort gingen sie von Hof zu Hof und schauten überall ins Tor. Schließlich kamen sie zu einem Haus, wo der Hof voller buntgekleideter Menschen war. Hier wurde eine Hochzeit gefeiert, und der Bräutigam war niemand anders als der wandernde Händler, der bei den alten Leuten übernachtet hatte. Der Hund flüsterte der Katze ins Ohr: „Gehe du hinein und schau nach wo der Händler den Schatz versteckt hat! Ich kann schlecht hineingehen; ich warte unter dem Weidenbaum am Dorfausgang auf dich.“

Die Katze nickte mit dem Kopf und stimmte mit einem „Miau“ zu, dann sprang sie aufs Dach und vom Dach leise in den Hof. Durchs Katzenloch schlich sie heimlich in das Schlafzimmer des Händlers und suchte überall, ohne etwas zu finden. Sie saß gerade unter dem Bett und überlegte, was sie machen sollte, da kam plötzlich unter einer Truhe eine Maus hervor. Mit zwei Sätzen hatte sie die Maus gepackt. Die Maus zitterte am ganzen Leib und bat die Katze um Mitleid. Die Katze machte ein böses Gesicht und sagte: „Ich lasse dich am Leben, wenn du mir einen Dienst erweist.“ Zitternd erwiderte die Maus: „Sprich, große Königin! Wenn ich es kann, tue ich es bestimmt.“ „Schlüpf in die Truhe und sieh nach, ob du ein Kästchen darin findest! Wenn ja, bring es mir sofort her!“ befahl die Katze. Die Maus kroch in die Truhe und kam bald mit dem Schatzkästchen wieder, das sie der Katze ehrfürchtig überreichte.

Mit dem Schatzkästchen im Maul lief die Katze hinaus. Kaum trat sie aus der Tür, als der Händler sie entdeckte und rief: „Die Katze hat meinen Schatz gestohlen! Die Katze hat meinen Schatz gestohlen!“ Alle Leute stürzten der Katze hinterher, aber sie war längst über die Mauer und über das Dach verschwunden. Unter dem Weidenbaum am Dorfausgang fand sie den Hund wieder. Hund und Katze machten sich mit dem Schatzkästchen froh auf den Heimweg. Als sie kurz vor dem Fluss waren, sagte der Hund zur Katze: „Gleich kommen wir an den Fluss. Wenn wir auf dem Wasser sind und du siehst Fische und Krebse, darfst du auf keinen Fall etwas sagen, damit dir nicht das Kästchen in den Fluss fällt.“ Diesmal hatte die Katze nicht solche Angst. Sie ritt stolz auf dem Rücken des Hundes und malte sich aus, wie die beiden Alten sie laben würden, wenn sie nach Hause kamen.

Als der Hund mit der Katze auf dem Rücken bis in die Mitte des Flusses gekommen war, waren wirklich viele Fische und Krebse zu sehen. Vor Gier lief der Katze das Wasser im Maul zusammen, und sie konnte nicht an sich halten und rief: „Hund! Sieh nur die Fische und Krebse!“ Dabei hatte sie natürlich nicht aufgepasst und das Kästchen fiel, plumps, in den Fluss. Wütend sagte der Hund: „Wenn man dir sagt, du sollst den Mund halten, sprichst du natürlich erst recht. Was willst du nun machen?“ Dem Hund blieb nichts weiter übrig, er musste erst die Katze ans Ufer bringen, dann schwamm er in die Mitte des Flusses zurück und musste lange suchen, ehe er endlich das Kästchen wiedergefunden hatte. Davon war er so müde geworden, dass er, als er am Ufer nur für einen Augenblick die Augen zumachen wollte, um sich auszuruhen, schon eingeschlafen war. Die Katze merkte, dass er schlief, nahm das Kästchen ins Maul und lief allein nach Hause.

Als der Alte sah, dass die Katze das Kästchen wieder gebracht hatte, freute er sich. Schnell sagte er es seiner blinden Frau, und beide lobten die Katze, weil sie so tüchtig gewesen war. Dann machte der Alte das Kästchen auf, nahm den Schlangenschwanz heraus und schüttelte ihn, dass klimpernd die Bronzemünzen auf die Erde fielen. Er machte ein gutes Essen zurecht und gab es der Katze zur Belohnung. Stolz begann die Katze zu fressen, da kam auch der Hund zurück. Böse schrie der Alte ihn laut an: „Du hast nichts getan und willst auch noch fressen?“ Die Katze sagte nichts dazu und fraß das Futter ganz alleine. Der Hund war sehr hungrig und durstig, aber er bekam nichts zu fressen als ein paar magere Reste.

Seitdem hasste der Hund die Katze. Wenn er sie sah, jagte er ihr hinterher und schnappte wütend nach ihrer Kehle und ihrem Leben. So sind Hund und Katze Feinde geworden.