Sex, Reporter und das Internet


Der WDR tut es, ZAK tut es, c’t hat es getan, und EMMA tut es immer wieder: Berichte über Sex im Internet herausbringen. Warum sie das tun, ist klar. Es ist eines der heißesten Themen der deutschen Presse, Menschen regen sich auf, Emotionen schlagen hoch – oder lassen sich zumindest damit hochschlagen. Kurz gesagt: Berichte über Sex, mitteln auf der Datenautobahn der schönen neuen Computerwelt, sind in.

Dieser Text soll eine Hilfestellung bieten, wie auch Sie sich in die erfolgreichen Reihen von Journalisten und Reportern eingliedern können, die mit dem Thema Sex im Internet einen so großen Erfolg hatten. Schließlich wollen Sie nicht das Rad von vorne erfinden, und außerdem haben sich unter Kollegen inzwischen gewisse Konventionen gebildet, die auch Sie einhalten sollten.

Sie werden staunen, wie einfach es ist.

Was so schön an dem Thema ist
Für einen echten Reporter ist dieses Thema einfach zu verlockend, um nicht aufgegriffen zu werden: Man muß keinen großen Aufwand für Recherchen treiben (falls man es überhaupt für nötig hält, welche zu machen), es umfaßt drei Reizthemen auf einmal: Hochtechnologie, Steuerverschwendung und natürlich Sex. Und die Message ist so einfach, daß selbst der blödeste Ruhrpottler sie verstehen kann.

Fangen wir mit dem letzten Teil an:

Die Message
Alle erfolgreichen Berichte über das Internet basieren auf der folgenden Feststellung:

Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der Steuerzahler jedem Hochschulangehörigen auf elektronischem Weg Pornographie zugänglich zu machen.
Machen Sie sich über die Details keine Sorgen. Wie wir unten sehen werden, werden Sie diese Message für Ihre jeweilige Zielgruppe etwas anpassen müssen. Aber da Ihr durchschnittler Zuschauer zB. den Unterschied zwischen dem Internet und dem FidoNet nicht erkennen würde, auch wenn er darauf säße, brauchen Sie weder sorgfältig zu arbeiten, noch sich alle Feinheiten merken. Verallgemeinern Sie also, um bei unserem Beispiel zu bleiben, im Zweifelsfall einfach über alle Computernetze. Die Message ändert sich nicht, und schließlich geht es – nach den Quoten – beim Journalismus immer um die Message. Wenn die durchkommt, egal wie, sind Sie ein guter Reporter.

Sex
Schon auf der der Uni haben Sie gelernt, daß Sex sich gut verkauft. Sie haben auch gelernt, daß ein anspruchsvoller Journalist nicht mit dem Sex an sich die Zuschauer ködert, sondern mit einem Bericht über Leute, die diesen Sex konsumieren. Damit haben Sie die Entschuldigung, Bilder von nackten Frauen zu zeigen (natürlich nur zur Dokumentation), und behalten trotzdem Ihre moralische Überlegenheit. Auch das wissen Sie als guter Journalist.

Das Internet eignet sich, wie alle Computernetze, hervorragend zu diesem Zweck. Schließlich hat der Zuschauer keine Ahnung, wie ein Pornobild auf einem Computerschirm aussieht. Sie haben also die journalistische Pflicht, es ihm zu zeigen. Möglichst mehrfach, damit er sich ein abgrundetes Bild machen kann. Die Moralapostel werden entsetzt sein, wie frei das alles zugänglich ist, die visuell veranlagten werden sich überlegen, warum sie nicht damals doch Informatik studiert haben, und der ganz normale Zuschauer wird einfach nur auf die Bilder gucken. Sex verkauft sich immer, Sex ist immer noch der Quotenbringer Nummero Uno.

Machen Sie Sex zu Ihrem Hauptthema. Um es für Sie einfacher zu machen, haben die Internet-Leute netterweise alle wichtigen Gruppen unter alt.sex.* eingeordnet, also am Anfang an dieser langen Liste von Newsgruppen. Auch wenn es einige anderen Gruppen gibt, viele sogar, sollten Sie der Versuchung widerstehen, zu viel Zeit mit ihnen zu verschwenden. Erstens sind die alle sowieso auf Englisch – und wir wissen ja alle, daß das mit Ihrem Schul-Englisch nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte, nicht wahr – und zweitens wird da eh nur technischer Krimskrams besprochen. Also: konzentieren Sie sich auf das Wesentliche, auf das, was die Quoten bringt, und ignorieren Sie den Rest. Konzentrieren Sie sich auf den Sex.

Hochtechnologie
Spätestens seit der Diskussion über die andere Hochtechnologie, der Gen-„Manipulation“, weiß jeder Journalist, wie der Hase läuft: die Volksmeinung ist radikal technikfeindlich, und wer die Quote kriegen will, tut gut daran, dieser Einstellung brav zu folgen. Sie kennen doch sicherlich den Witz:

Ein Amerikaner, ein Japaner und ein Deutscher bekommen eine neue Technologie erklärt.
Der Amerikaner sagt: „Wow, damit können wir die Kommies besser in Schach halten. Kann man das nicht auch für Kinofilme verwenden?“
Der Japaner sagt: „Interessant, damit können wir viel Geld machen. Aber geht das Gehäuse wirklich nicht kleiner?“
Der Deutsche sagt: „Oh mein Gott, es wird uns alle umbringen. Warum ist das noch nicht verboten worden?“
Als Journalist folgen sie also einfach weiter dem ersten Journalistischen Technologie-Axiom für deutsche Zuschauer – jede neue Technologie ist böse – und es kann eigentlich gar nichts schiefgehen.

Zur Untermauerung dieser These sollten Sie noch andere selbsternannte Experten hinzuziehen. Die richtigen Pädagogen („Nur Holzspielzeug kann vermeiden, daß ihr Kind zu einem Massenmörder wird“), Psychologen („Der dauernde Kontakt mit einer Maschine führt zu einer inneren Vereinsammung. Daher ist die heute Kontaktarmut eine dirkete Folge der Erfindung des Telefons“), und Ästhetiker – was das auch immer ist – geben dem ganzen Bericht noch eine zusätzliche Dimension. Bemerken Sie, daß Sie selbst eigentlich nicht verstehen müssen, um was es da technisch eigentlich geht, denn Ihr Zuschauern weiß es ja auch nicht. Und falls doch, ist er auch ein Internetler, und sowieso weder objektiv noch als Zielgruppe für Sie interessant.

Steuerverschwendung
Nicht erst seit dem Solidaritätsbeitrag hat der Bürger ein gutes Gespür dafür, was mit seinem Geld passiert. Werden Milliarden aus dem Fenster geworfen, gibt es mächtig Ärger. Und diese selbsternannten Uni- Intellektuellen in ihren Elfenbeintürmen sind sowieso verdächtig: jeder weiß, daß alle Stundenten faul sind, und die Professoren arbeiten auch nur dann, wenn es ihnen paßt. Und das Internet existiert ja nur an den Unis, oder? Na also.

Auf dem ersten Blick scheint es schwierig zu sein zu erklären, wie genau die Steuern verschwendet werden. Schließlich weiß Ihr Publikum etwa soviel über Computer wie Sie. Aber das muß es auch nicht: Erwähnen Sie nur, daß die Computer über Leitungen (vereinfachen Sie und sagen Sie einfach „Telephonleitungen“, wer wird das schon merken) miteinander verbunden sind, und daß der ganze Schweinkram darüber verschickt wird. Dank der Preispolitik der Telekom wird jeder Zuschauer sofort wissen, daß hier Millionen, wenn nicht sogar Milliarden verschwendet werden. Der Umzug nach Berlin ist im Vergleich dazu bestimmt nur Peanuts. Und Peng!, schon haben Sie Millionen von empörten Zuschauern. Empörte Zuschauer schreiben empörte Briefe, die Sie dann Ihrem Chef zeigen können. Und das ist das Beste, was Ihrer Karriere passieren kann.

Eigentlich müssen Sie nur bei dem Bericht über die Kosten ein bestimmtes Wort vermeiden: „Standleitung“. Dazu unten mehr. Sonst können Sie auch hier nicht verlieren.

* * *

Aber was wirklich schön an dem Thema ist: Ihre Kollegen haben schon so viel Vorarbeit geleistet, daß der Zuschauer schon eine Erwartungshaltung hat. Wenn ein Deutscher das Wort Internet hört, weiß er, worum es gehen wird: Gefährliche Technik, Steuerverschwendung, und Sex. Und wenn er sonst nichts anderes behalten hat, wird der Zuschauer immer wissen, daß es um Sex geht. Denn bisher hat kein einziger populärer Artikel über Computernetze das Thema Sex ausgelassen. Inzwischen erwartet Ihr Zuschauer oder Leser also, daß es in einem Artikel über Computernetze früher oder später über Sex gehen wird. Alles, was Sie tun müssen, ist diese Erwartung erneut zu befriedigen.

Haben wir nicht gesagt, daß es einfach sein würde?

Wie Sie Artikel schreiben, geordnet nach Zielgruppen
Journalisten sind wie Angler, sie wählen den Köder nach dem Fisch. Obwohl Sie mit der Message und den drei Themen alleine schon problemlos Ihrem Verlag oder Sender eine Freude machen können, können Sie Ihrem Artikel den letzten Schliff geben, wenn Sie etwas auf die Zielgruppe achten. Hier einige unserer Tips:

Wenn Sie für ein rechtes Publikum schreiben
Ihre Leser werden sowieso nichts gutes vom Internet halten – schaut euch doch das Studentenpack vor den Uni-Terminals an, diese langhaarigen, schmalbrüstigen Cyberhippies. Jeder Rechte weiß, daß Unis sowieso nur Steuerverschwendung sind, Sie brauchen also nicht zu lange auf diesem Teil herumzureiten. Aber dafür können Sie mit dem normalen Sexthema nicht so viel reissen. Ein echter Rechter hat nichts gegen einen guten Fick, solange die Frau vorher das Haus sauber gemacht hat und sie dabei das Essen nicht anbrennen läßt. Hier sollten Sie vielleicht ein paar wertvolle Minuten mit der Sprache der Netzler verschwenden, um so herauszufinden, was sich für Kreaturen in der alt.sex.motss herumtreiben. In diesem Fall lautet die Message nämlich besser:

Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der anständigen Steuerzahler unseres schönen Landes jedem schwulen Hochschulsozi auf elektronischem Weg den Kontakt zu anderen perversen Verfassungsfeinden zu ermöglichen.
Wenn Ihren Lesern erstmal klar wird, daß das Internet für Sowas wie Schwule und Lesben weit offen ist, und daß die da auch frei reden dürfen, ist der Artikel ein garantierter Erfolg.

Wenn Sie für ein linkes Publikum schreiben
Auch hier haben Sie schon einen Bonus: Ein echter Linker mag das Internet nicht, weil es von Amerikanern erfunden wurde. Und die Amis sind bekanntlich an allem Schuld, von dem Untergang des wahren Sozialismus in Nicaragua bis zu der Tatsache, daß die roten Gummibären einfach nicht mehr so gut schmecken wie früher. Das Internet ist für ihn nichts anderes als ein Brückenkopf des fortgesetzten Kulturimperialismus der kontrarevolutionären Kräfte.

Da sich jeder Linke für einen Intellektuellen hält, sollten Sie sich besonders gut die Empfehlungen zu Intellektuellen durchlesen – auch wenn die meisten Linken auch nur der bundesweiten Tendenz zum Zweitbuch hinterherlaufen.

Wenn Sie für radikale Feministinnen schreiben
Zuerst müssen Sie sich vergewissern, daß Sie es wirklich mit Frauenrechtlern und nicht mit Radikalfeministinnen zu tun haben. Frauenrechter sind entsetzt, wenn man sie wie Radikalfeministinnen behandelt, und Radikalfeministinnen sind enttäuscht, wenn man sie nur für Frauenrechtler hält. Entsprechend müssen Sie Ihren Artikel ganz anders aufbauen. Zur Unterscheidung sollten Sie die Kernsätze der beiden Gruppen beachten:

Frauenrechtlerin: „Die Frau wird in und von der Gesellschaft ungerecht behandelt. Das muß durch bessere Gesetze und fairere soziale Konventionen geändert werden.“
Radikalfeministin: „Männer sind böse.“

Frauenrechtler setzen sich für die Beseitigung eines Mißstandes ein. Wie alle solche Menschen entwickeln sie dabei eine erschreckende Kreativität in der Verwendung von neuen Technologien, und sind bereit, sich dafür selbsttätig zu informieren. Wie wir später noch genauer sehen werden, sind sie deshalb für Journalisten ähnlich gefährlich wie saarländischen Pressegesetze. Frauenrechtler haben im Zusammenhang mit dem Internet von der Möglichkeit gesprochen, hausgebunden Frauen von Zuhause aus die Eingliederung ins Berufsleben zu ermöglichen. Unterhaltsam wie dieser SciFi Quatsch sein mag, lenkt es von der erprobten Message ab und geht über die drei Reizthemen hinaus. Damit können Sie keine Quote machen.

Vermeiden Sie es daher ganz, für Frauenrechtler Berichte über das Internet zu schreiben. Wenn Sie darauf angesprochen werden, murmeln Sie viel und erzählen Sie etwas von Ihren baldigen Reise nach Katmandu.

Wenn Sie sich sicher sind, daß Sie für Radikalfeministinnen schreiben
Das ist Ihre ideale Zielgruppe. Ehrlich. Sie brauchen hier nicht über Steuerverschwendungen zu erzählen: Steuern werden von Männern verteilt, und wandern schon deswegen immer in die falschen Kanäle. Auch das mit der Hochtechnologie wird Ihnen geschenkt: Führende Radikalfeministinnen haben schon die Gentechnologie zum Werkzeug der Männer deklariert, mit denen sie die Frauen machtlos machen – sorry, halten – wollen. Warum sollte das mit einer anderen Hochtechnologie anders sein?

Konzentrieren Sie sich auf Sex, und erwähnen Sie immer und so oft es geht, daß im Internet mehr Männer sind als Frauen. Schon allein deswegen ist jedes Problem, daß durch das Internet entstanden ist, besteht, entstehen wird, oder entstehen könnte, offensichtlich auf die Männer zurückzuführen. Ihre Message sieht also so aus:

Das Internet ist eine auf Männer zugeschnittene Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der Frauen jedem Mitglied Ihres emotional verkrüppelten Geschlechtes auf elektronischem Weg Schweinebilder zugänglich zu machen.
Dazu kommt noch eine Erweiterung:

Frauen sollen so aus allen wichtigen Stellen vertrieben und die Anzahl der Vergewaltigungen gesteigert werden.
Bemerken Sie, daß wegen der unter Radikalfeministinnen üblichen Dogmata einige Aussagen immer implizit in Ihrem Bericht enthalten sein werden, auch wenn Sie es selbst vielleicht gar nicht gewußt haben. So zum Beispiel:

Das Ziel allen männlichen Tuns und Schaffens ist die Unterdrückung der Frau. Jede neue Technologie oder deren Anwendung durch Männer kann also, auch wenn der genau Mechanismus auf dem ersten Blick nicht sichtbar sein sollte, nur diesem einen Zweck dienen.
Pornographie ist die Ursache für Vergewaltigungen („Pornography is the theory, rape is the practice“). Wenn Männer nackte Frauen sehen, werden sie automatisch zu Vergewaltigern.
Frauen können sich nur frei in einer Gruppe entfalten, wenn sie keine Männer enthält. Reine Frauengruppen sind der einzige Weg zur weiblichen Selbstverwirklichung.
Zwar müssen Sie diese Dogmen wie gesagt nicht erwähnen, aber wenn Sie wissen, wie Ihre Leserinnen denken, können Sie natürlich einen viel besseren Artikel schreiben.

Weiter: Zeigen Sie möglichst viele Bilder. Eine der Kameräinstellungen, die inzwischen Pflicht sind, ist die eines Bildschirms mit einer Liste der alt.sex.* Gruppen. Suchen Sie sich eine, besser, mehrere Frauen als Interviewpartner. Und auch einen männlichen Bösewicht brauchen Sie mindestens, als lebendiges Beispiel für die Tiefen zu denen sich das primitivere Geschlecht herablassen kann. Und man kann es nicht oft genug sagen: betonen Sie immer wieder, daß das Netz so gut wie rein männlich ist. Spachteln Sie das so dick auf, wie Sie nur können.

Dummerweise sinkt der Männeranteil im Internet stetig, was Ihnen als Reporter auf lange Sicht die Tour vermiesen könnte. Es haben sich zwei grundsätzliche Methoden herausgebildet, um diesem Trend entgegenzusteuern:

„Der schweigende Kirchturm“. Da sich inzwischen besonders die angelsächsischen Frauen in Maßen in das Netz ergießen, sollten Sie bei Diskussionen über den Frauenanteil immer lokal bleiben. Erwähnen Sie daher nicht, wie das Internet im Ausland aussieht, halten Sie Ihren Horizont schön eng. Wenn Frauen erstmal auf die Idee kommen, daß sie nicht alleine im Netz sind, baut sich viel zu schnell die Hemmschwelle ab. Erwähnen Sie zwar, daß das Internet international ist, aber belassen Sie es dann dabei. Warum in die Ferne schweifen, wenn das journalistische Glück so nahe liegt?
„Die Macht der sich selbsterfüllenden Prophezeihung“. Im Gegenzug heißt das: wenn Sie immer und immer wieder den Frauen erzählen, daß es keine Frauen im Internet gibt, und daß Frauen dort nur angefeindet werden, werden Frauen weder Lust haben, ins Internet zu kommen, noch neugierig sein, was dort passiert. Damit bleibt der Frauenanteil schön niedrig, und Sie haben noch auf Jahre hin gutes Material für weitere Reportagen.
Trotz der Vielzahl von Details, die man bei einem Bericht für radikale Feministinnen beachten muß, gibt es keine Gruppe, die Berichte über Sex im Internet mit mehr Begeisterung und weniger kritischem Nachdenken aufnimmt. Sie müßten sich schon ziemlich anstrengen, um einen Artikel für diese Zielgruppe zu vermasseln.

Wenn sie für die Kirche schreiben
Hier ist erstaunlich viel Fingerspitzengefühl nötig, denn Kirchenmitglieder sind zwar meist über Sex entsetzt, aber zuviel Sex in einem Bericht stößt sie eher ab. Also: reden Sie davon, aber keine expliziten Bilder, und nur dezente Texte. Die meisten Radikalchristen werden eher Bedenken gegen den ungefilterten Kontakt der Internetbenutzer mit den Mitgliedern anderer Religionen (wie in der talk.religion.buddhism) haben, wie auch gegen die Möglichkeit der New Ager, sich hier breit zu machen. Verglichen damit fallen Faktoren wie die Verschwendung von Steuermitteln und die Gefahren der Hochtechnologie nicht wirklich ins Gewicht. Die Kirche hat, wie Ihnen jedes Land mit Überbevölkerung gerne bestätigen wird, eben ihre eigenen Prioritäten.

Hier läßt sich die normale Message nicht übertragen. Weil man als Reporter hier selbsttätig arbeiten müßte, gibt es auch kaum Texte zum Thema Internet und Kirche.

Wenn Sie für Intellektuelle (oder Linke) schreiben
Auch Intellektuelle muß man gesondert behandeln. Sie können bei dieser Gruppe nicht über die Unis herziehen, da die meisten von ihnen entweder an einer Universität sind oder von einer kommen. Und auch mit der Steuerverschwendung müssen Sie etwas aufpassen. Zu leicht kann es passieren, daß jemand von diesem Pazifistenpack aufsteht und Sie darauf aufmerksam macht, daß das ganze Geld für das deutsche Internet nicht die kleinste Schraube am Höhenruder eines EuroFighters bezahlen würde. Intellektuelle sind entweder Besserwisser oder Klugscheißer, und meistens beides.

Und diese Gruppe ist auch die einzige, die Sie nicht mit Sex schocken können, egal in welcher Form. Zum intellektuellen Selbstverständnis gehört es, alle Spielarten als „interessant“, und jedes Bild eines nackten Menschen als höchstens „erotisch“, nie aber als pornographisch einzustufen. Was nützt ihnen das Bild einer nackten nimm-mich Frau, wenn ein Typ aus dem Fachbereich Kunst das einfach als eine gelungene neo-dadaistische Interpretation von Gustave Moreau’s „Galatea“ intellektualisiert und die transformatorische Übertragung in den Bereich der postmodernen Sozialkritik lobt? Und selbst wenn sie einen von diesen Leuten dazu bringen können, etwas als Pornographie einzustufen, gibt es diese entsetzliche intellektuelle Tradition der Meinungsfreiheit. Sex können Sie also auch vergessen.

Ihnen bleibt nur die Hochtechnologie. Zum Glück funktioniert das blendend.

Intellektuelle sind die Leute, die über Jahrhunderte hinweg tapfer versucht haben, jede Entstehung oder Ausbreitung von neuen Medien zu verhindern. Schon die Kirchengelehrten haben ihr bestes getan, um Bücher und Buchdruck in „verantwortungsvollen“ Händen zu halten, und ein gewisser Rousseau war der felsenfesten Meinung, daß man dem gemeinen Pöbel nicht Lesen oder Schreiben beibringen sollten, weil es die „natürliche Kultur“ zerstören würde. Wenn man die heutigen Intellektuellen reden hört, wird einem schnell klar, daß sie noch nicht einmal mit dem Schock des Fernsehens zurecht gekommen sind, geschweige denn sich mit Computern angefreundet haben. Wenn es nach ihnen ginge, würden alle nach der Arbeit nach Hause gehen und artig Gedichte lesen oder mit der ganzen Familie über die Besetzung des Schweizers in der neusten Inszenierung von „Die Räuber“ diskutieren. Und wie die Nacktszene die immerwährende Verletzbarkeit des menschlichen Geistes aufzeigt.

Das können Sie ausnutzen.

Reden Sie davon, daß Computernetze mit Elektronik zu tun haben. Erste Faustregel: Nichts, was Strom verbraucht, kann etwas mit Kultur zu tun haben. Also weder Fernsehen noch Telefon noch Radio, und schon gar keine Computerspiele. Nicht mal Myst.

Reden Sie davon, daß potentiell jeder Bürger eines Tages Zugang zum Internet haben könnte. Zweite Faustregel: wenn mehr als zwanzig Leute in der ganzen Republik etwas machen, kann es keine Kultur sein. Kultur ist nur von und für Eliten, und wird auch nur von ihnen wirklich verstanden.

Reden Sie davon, daß die Computernetze von Amerikanern aufgebaut wurden. Dritte Faustregel: Amerikaner haben keine Kultur, und daher kann nichts Amerikanisches irgendeine kulturelle Bedeutung haben. Das weiß aber sowieso jeder.

Reden Sie davon, daß in Computernetzen auch lustige und spaßige Dinge passieren. Vierte Faustregel: Intellektuelle hassen Spaß, weil es zeigt, daß man sich nicht der ernsten Probleme unsere Welt hinreichend bewußt ist. Deswegen sehen Dichter und Denker immer so aus, als hätten sie schlimme Hämorrhoiden.

Zusammengefaßt haben wir also:

Das Internet ist eine neue überflüssige Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten des menschlichen Geistes beim einfachen Bürger auf elektronischem Weg durch niveaulose Unterhaltung den kulturellen Untergang der westlichen Welt zu beschleunigen.
Eine besondere Herausforderung bei Intellektuellen ist, daß diese Jungs und Mädels meist leider ziemlich gut Englisch können. Sie müssen also bei den Kameraeinstellungen aufpassen, sonst fragt sich einer von den Besserwissern, ob alt.sexual.abuse.recovery vielleicht etwas mit der Behandlung und Betreuung von Vergewaltigungsopfern zu tun habe?

Warnungen
Bei jedem Bericht gibt es einige Fallgruben, die Sie unbedingt vermeiden sollten:

Erklären Sie niemals, was eine Standleitung ist. Wenn es Ihren Zuschauern erstmal klar wird, daß die über die Leitungen übertragene Datenmenge keinerlei Auswirkungen auf die Kosten hat, können Sie Ihr schönes Argument mit der Steuerverschwendung getrost in den Eimer werfen. Eine Argumentation mit „Plattenplatz“ oder „CPU-Zeit“ ist nämlich nicht nur für Ihre Zuschauer nicht nachvollziehbar, sondern auch anfechtbar. Um nicht zu sagen, kaum haltbar.
Erwähnen Sie niemals, daß es neben den Universitäten auch eine exponentiell wachsende Anzahl von privaten Anbietern gibt, die für ihr Zeugs selbst bezahlen. Was „exponentiell“ bedeutet, weiß Ihr durchschnittliche Zuschauer eh nicht. Und wenn sich ein Haufen Privatpersonen auf eigene Rechnung Schweinkram zuschicken, nun, wen juckt’s. Das ist vielleicht moralisch fragwürdig, aber für jemand, der schon mal an einem Bahnhofskiosk gestanden hat, nicht sonderlich schockierend.
Erwecken Sie niemals Neugierde. Als Reporter leben Sie davon, daß andere Menschen Ihre Informationen nur durch Sie beziehen – wenn Ihre Zuschauer oder Leser erstmal neugierig werden, und sich auf eigene Faust informieren, sind Sie Ihr Monopol los. Und damit früher oder später auch Ihren Job. Sie sollten die Emotionen Ihrer Zuschauer oder Leser genau steuern können – und in diesem Fall ist Schock, Ablehnung, Entsetzen und Empörung am besten. Neugierde darf der Leser nur in soweit haben, daß er Ihren Artikel lesen will, nicht, daß er sich weitergehend für den Inhalt interessiert.
Seien Sie immer vorsichtig, welche Newsgruppen Sie zeigen. Das Problem mit alt.sex.abuse.recovery und den Intellektuellen haben wir schon angeschnitten. Die Qualität der Gedichte in der rec.arts.poems hat auch schon ein Niveau erreicht, daß genau diese Gruppe neugieriger machen könnte, als für den Bericht gut ist. Frauenrechtler sollten nie erfahren, daß es neben der soc.women eine ganze Reihe von Gruppen von und für Frauen gibt. Arbeiten Sie sorgfältig.
Erwähnen Sie niemals, daß es keine Werbung gibt. Nachdem dank Trikotwerbung und Bandenbildern sogar jedes Fußballspiel zu einer Dauerwerbesendung geworden ist, reicht die Erwähnung, daß es in dieser Welt noch werbefreie Zonen gibt, für eine Massenflucht ins Netz aus. Wenn Sie für ARD oder ZDF arbeiten, ist das Thema Werbung für Sie ganz besonders gefährlich – hier haben Sie nämlich ein Gebilde, daß Werbefreiheit predigt, und dann auch hält, was es verspricht. Und das können Sie ja leider nicht.
Erwähnen Sie niemals, daß prominente Leute das Netz befürworten. Kein Mensch weiß, wer Nicholas N. Nabelhaus ist und warum er Computernetze unterstützt, aber wenn die Kiddies herauskriegen, daß Winona Ryder and Sandra Bullock da sind, und daß man über’s Netz Harley Davison und MTV erreichen kann, ist das etwa so, als würde die Königin von England das ganze Gebilde in den Adelsstand erheben.
Was nicht wichtig ist
Die Technologie. Niemand interessiert sich für die Technologie. Ihre Leser wollen nichts über Technologie wissen, sonst würden sie Spektrum der Wissenschaft oder sowas lesen und nicht Ihren Artikel. Sie sollten sich auch nicht für die Technologie interessieren, weil Sie sonst ernsthafte Recherchen anstellen müßten – und das kostet Zeit. Außerdem: sind Sie jetzt Reporter oder Elektroingenieur?
Studien. Wenn Sie anfangen zu erzählen, daß nach amerikanischen Studien Jugendliche, die am Internet angeschlossen sind, viel weniger fernsehen als ihre Altersgenossen, und nicht nur täglich hunderte von Zeilen lesen, sondern auch von sich aus schreiben, machen Sie Ihre Leser nur neugierig, und lenken von Ihrer garantiert quotenwirksamen Message ab. Und was ist schließlich der Zweck Ihrer journalistischen Arbeit?
Potentiell sinnvolle Anwendungen. Wenn Sie z.B. hören, daß das White House am Internet angeschlossen ist, und jeder dort nicht nur die üblichen Reden abrufen kann, sondern auch Parteiprogramme und Regierungserklärungen, werden Sie vielleicht versucht sein, über etwas in der Art für Ihr eigenes Land nachzudenken. Lassen Sie es lieber. Computer und ähnlicher Schnickschnack haben in einem ernsthaften politischen System keinen Platz. Und wenn der amerikanische Präsident über Email mit seinen Mitarbeitern konferiert und alle da mit Laptops durch die Gegend läufen, nun, das ist halt Amerika, wo Präsidenten Schauspieler sind und sich beim Joggen photographieren lassen. Oder sollen wir etwa auch anfangen, Kanzler Kohl in einer kurzen Sporthose und T-Shirt zu zeigen?
Zu Ihrer Sicherheit
Als Reporter sind Sie gewöhnt in einem System zu arbeiten, wo einer (also Sie) redet, und alle anderen (die Leser oder Zuschauer) nur passiv aufnehmen. Im Internet ist das anders. Wenn Sie den katastrophalen Fehler machen, selbst eine Internetadresse zu haben, und die dann auch noch bekannt zu geben, werden sich auf einmal mehr Leute per Mail melden, als Sie jemals hören wollten. Das Internet erlaubt hemmungslosen Feedback an den Autor.

Das sollten Sie direkt unterbinden: geben Sie _niemals_ Ihre Emailadresse mit dem Artikel bekannt. Sie werden nicht für Feedback bezahlt, sondern für neue Berichte. Als Vorbild sollte Ihnen der Autor von „Nur aus technischem Interesse“ aus c’t 11/1991, Martin Fischer, dienen. Fischer schreib damals einen Bericht über Pornographie in Computernetzen, der Schule machte, mit Bildern von nackten Frauen und allem, was dazugehört – und dachte gar nicht daran, seine Emailadresse anzugeben. Als bei c’t nachgefragt wurde, warum das so sei, antwortete die Zeitschrift (Heft 12/1991), daß sie Email nicht für so geeignet hielten wie normale Leserbriefe.

Inzwischen hat c’t seine Meinung offenbar geändert, aber als eine der größten Computerzeitschriften hat man gewisse Verpflichtungen gegenüber den Möglichkeiten der modernen Technologie. Sie nicht. Also schauen Sie sich im Netz um, schreiben Sie darüber Ihren Bericht, und loggen Sie sich dann aus. Aber schnell. Bis die Bundespost sich bequemt hat, die Leserbriefe auf dem üblichen Weg bei Ihnen abzuliefern, sollten Sie schon am nächsten Artikel arbeiten. Wenn Sie echtes Feedback haben wollten, würden Sie schließlich nicht für ein Massenmedium arbeiten.

Eine letzte Bitte aus journalistischer Fairness
Sex im Internet hat schon Hunderte Ihrer Kollegen über Perioden hinweggeholfen, in denen man sonst nur über saure Gurken berichten konnte. Helfen Sie mit, dieses Thema für zukünftige Generationen von Reportern nützlich zu erhalten – schließlich kann man nicht erwarten, daß Charles und Di immer zur rechten Zeit in die Bresche springen. Schlachten Sie nicht die Gans, die uns alle mit solch goldenen Eiern versorgt.

Daher: bitte nicht mehr Informationen als nötig. Alles, was über die Message und die drei Reizthemen hinausgeht, könnte den Leser oder Zuschauer nur neugierig machen und ihm die Illusion geben, es könnte mehr im Netz geben als Sex und schlimmere Perversionen. Das kann keiner von uns wollen. Seien Sie vorsichtig, wen und wieviel Sie zitieren. So sollten die pfui-bah Worte „Standleitung“ und „Eigenbezahlung“ niemals zu hören oder sehen sein.

Das Internet ist ein wunderbares Gebilde und bietet dem gehetzten und unter Quotendruck stehenden Journalisten alles, was er für eine schnelle Geschichte ohne viel Aufwand braucht – solange er verantwortungsvoll und vorsichtig mit dieser gemeinsamen Quelle umgeht. Für ihn ist es dann, wie wir schon gesagt haben, wirklich wunderbar einfach.

Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der ganzen Wahrheit jedem Journalisten auf elektronischem Weg eine quotenträchtige Scheinreportage ohne viel Arbeit zugänglich zu machen.
Wir hoffen, Ihnen mit diesen Tips den Einstieg erleichtert zu haben. Viel Glück und uns allen weiterhin ein gutes Gelingen.